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Tschüss, Neoliberalismus

Kurswechsel in der Ökonomie: Mit Geld darf wieder Politik gemacht werden. Nur hierzulande findet die neue Schule kein Gehör

AUS BERLIN HANNES KOCH
UND MICHAELA KRAUSE

Obwohl Horst Köhler einige Jahre in den USA verbracht hat, scheint er dort etwas verpasst zu haben. In seinem neuen Buch empfiehlt der künftige Bundespräsident der deutschen Politik, sich der Konzepte der ehemaligen britischen Premierministerin Margaret Thatcher zu erinnern. Über die damaligen Ideen sind Politik und Wissenschaft mittlerweile jedoch hinaus.

Die Hegemonie des Neoliberalismus ist vorbei. Diese Botschaft allerdings scheint in Deutschland bislang vielerorts nicht angekommen zu sein. So entlässt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin gerade seinen Konjunktur-Chef Gustav Adolf Horn, der sich dem konservativen Mainstream über Jahre entgegengestellt hat.

Doch die bisher dominierenden Theorien der Neoklassik und des Monetarismus büßen ihre Vorherrschaft langsam ein. Ein neuer "Interventionismus" ist im Kommen. Ein Indiz dafür ist nicht nur, dass US-Präsident George W. Bush den Harvard-Professor Gregory Mankiw im vergangenen Jahr zum ökonomischen Chefberater berufen hat. Mankiw gilt als Neu-Keynesianer: Er leitet seine Thesen zum Teil von der Lehre des britischen Ökonomen John Maynard Keynes ab, die die Neoklassiker in den 1970er-Jahren heftig bekämpften. In Deutschland hat kürzlich das Kieler Institut für Weltwirtschaft, bisher ein Hort der Neoklassik, Dennis Snower als neuen Chef eingesetzt. Der Londoner Ökonom lehnt zentrale neoklassische Thesen ab.

Die Weiterentwicklung der Wirtschaftswissenschaft geht einher mit den Erfahrungen der USA seit den 90er-Jahren. Die US-Politik machte damals so ziemlich alles falsch, was in den Augen der Neoklassiker und der Monetaristen falsch machen konnte. So senkte Alan Greenspan, Chef der US-Notenbank, die Zinsen nach dem Börsencrash von 2001 massiv, um die Wirtschaft mit zusätzlichem Geld zu unterstützen. Und siehe da: Es funktionierte. Der Abschwung hielt sich in Grenzen, die Inflation schoss nicht ins Kraut.

Die Möglichkeit einer derartigen Politik hatten die Vertreter der neoklassischen Theorie mehr oder weniger abgestritten. Seit Ende der 60er-Jahre argumentierten US-Ökonomen wie Milton Friedman und seine Mitstreiter, die Erhöhung der Geldmenge durch die Zentralbanken hätten keine positiven wirtschaftlichen Effekte, sie brächten stattdessen ausschließlich die Inflation in Schwung. Unternehmen und Beschäftigten würden auf die Erhöhung der Geldmenge mit einer ebenso starken Anhebung der Warenpreise und Lohnforderungen reagieren, sagten sie und stützten sich dabei auf die in den 70er-Jahren entwickelten Theorie der "rationalen Erwartungen". Damit wachse weder das Bruttoinlandsprodukt, noch nehme die Arbeitslosigkeit ab - nur die Geldentwertung steige, erläuterten neoklassischen Ökonomen. Ihre wirtschaftspolitische Empfehlung: Zentralbank und Staat könnten die Arbeitslosigkeit mit den Mitteln der Geld- und Fiskalpolitik sowieso nicht reduzieren, also sollten sie es gar nicht erst versuchen.

In den wissenschaftlichen Debatten der vergangenen zehn Jahre sei dagegen "so etwas wie ein Trendwechsel festzustellen", sagt Kenneth Rogoff, der frühere Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds (IWF). Und der neue Kiel-Chef Dennis Snower schreibt in einem theoretischen Aufsatz: "Wir zeigen, dass eine permanente Steigerung der Geldmenge zu einer dauernden Anhebung der Inflationsrate und einer anhaltenden Verringerung der Arbeitslosigkeit führt."

Doch Keynes pur ist damit nicht zurückgekehrt. Die so genannten Neu-Keynesianer haben seiner Theorie aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nur mit neoklassischen Überlegungen kombiniert und durch neue Forschungen weiterentwickelt. Sie widersprechen den Neoklassikern zum Beispiel deutlich in dem Punkt, wie die Wirtschaftssubjekte auf die Erhöhung der Geldmenge reagieren. Unternehmen und Beschäftigte würden ihre Preise nicht sofort im gleichen Maße erhöhen, wie die Geldmenge wachse. Ein Argument der Neo-Keynesianer: Sie könnten höhere Preise nicht unmittelbar durchsetzen, weil zum Beispiel die nächsten Tarifverhandlungen erst in einem Jahr stattfänden. Trotz der grundsätzlichen Rationalität ihrer Erwartungen für die Zukunft - es regiert weiter die Annahme vom Homo oeconomicus (Anmerkung von Chancen: Kürzlich wurde in ener Studie nachgewiesen, dass auch Manager nicht nach rationalen Kreterin enscheiden) - würden die Wirtschaftssubjekte außerdem nicht immer über alle notwendigen Informationen verfügen. So könnten sie die für sie profitabelste Preissteigerung nicht vollständig voraussehen. Deshalb, so argumentiert Dennis Snower, würden die Preissteigerungen der Zunahme der Geldmenge hinterherhinken. Der Effekt: Ein Teil des zusätzlichen Geldes treibe nicht die Inflation voran, sondern erhöhe über vermehrte Nachfrage das Bruttoinlandsprodukt, was wiederum die Erwerbslosigkeit reduzieren könne. Die Schule der Interventionisten sieht damit bessere Möglichkeiten der Zentralbank und des Staates, die nachteiligen Auswirkungen von Konjunkturkrisen zu dämpfen.

Auch in der Politik ist dieser Wechsel langsam zu spüren. Selbst im Umkreis der Europäischen Zentralbank ist mittlerweile eine Diskussion über den Sinngehalt der harten Sparpolitik und des Stabilitätspaktes in Gang gekommen. Gesucht wird ein Ausweg, der den Staaten der EU einen größeren finanziellen Spielraum eröffnet, um konjunkturelle Schwächeperioden nicht durch eine rigide Sparpolitik zu verschärfen.

Auch die Bundesregierung hatte gerade die Chance, der modernen Wirtschaftswissenschaft in Deutschland mehr Gehör zu verschaffen. Doch man hat die Gelegenheit verpasst. Als neues Mitglied in den Sachverständigenrat für Wirtschaft rückt keine Vertreterin der neuen Richtung ein, sondern die politisch undefinierbare Karriere-Ökonomin Beatrice Weder di Mauro.

Portrait Seite 12

Der neue "Interventionismus" hält nichts mehr von harter Sparpolitik
Die Chance, Keynes wieder mehr Gehör zu verschaffen, hat Rot-Grün gerade verpasst -->

taz Nr. 7386 vom 18.6.2004, Seite 4, 200 Zeilen (TAZ-Bericht), HANNES KOCH / MICHAELA KRAUSE

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brennpunkt 2

Keynes bei Bush

Gregory Mankiw, Professor für Makroökonomie an der US-amerikanischen Universität Harvard, bekennt sich offener als so mancher europäische Ökonom zu der Forschungstradition, in der er steht: Auf seiner Homepage darf man neben einer langen Reihe von Veröffentlichungen auch seinen Hund bewundern. Dessen Name: Keynes.

Seit dem vergangenen Jahr ist der Neo-Keynesianer Mankiw Chef-Wirtschaftsberater von US-Präsident George W. Bush. Eine der Hauptaufgaben des 56-Jährigen ist es, das Steuerkürzungs- und Konjunkturförderungsprogramm der Regierung in der Öffentlichkeit zu verkaufen. Da ist es wichtig, dass sich sein Forschungsansatz mit der von Bush propagierten Politik der Nachfragestimulierung verträgt. Dafür hat sich Mankiw in den letzten Monaten auch des Öfteren in lustvolle Clinchs mit US-Notenbank-Chef Alan Greenspan begeben.

Mankiw hält eine kurzfristige Wechselwirkung zwischen Arbeitslosigkeit und Inflation für ein unter Ökonomen allgemein anerkanntes wirtschaftliches Prinzip. Mit dieser provokativen Äußerung in einem Buchmanuskript handelte sich der Ökonom allerdings nur den Ärger mit Verlagslektoren ein. MKR

taz Nr. 7386 vom 18.6.2004, Seite 4, 45 Zeilen (Portrait), MKR

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brennpunkt 2

Keynes in Kiel

Dennis Snower leitet ab Oktober diesen Jahres als neuer Präsident das renommierte Kieler Institut für Weltwirtschaft - eines der sechs wichtigsten deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute. Das Kieler Institut gilt davon als das am stärksten neoklassisch geprägte. Umso erstaunlicher ist es, dass die Wahl auf den Arbeitsmarktexperten der University of London gefallen ist.

Der 53-Jährige genießt jedoch großes Ansehen unter Ökonomen. Der Amerikaner hat in Oxford und Princeton studiert und in den international renommiertesten Fachzeitschriften veröffentlicht. Aber er forscht in der Tradition der Neo-Keynesianer, auch wenn er sich selbst dieser Schule nicht zurechnen lassen will - ein Zeichen mehr dafür, dass das Etikett Neo-Keynesianer unter den Ökonomen in Deutschland nicht als besonders schick gilt. Unübersehbar ist aber: Snowers Forschungen bauen auf neu-keynesianischen Modellen auf. Die Ergebnisse einiger seiner Arbeiten gehen sogar weiter als die der Neo-Keynesianer: Während die annehmen, eine höhere Inflationsrate könne die Arbeitslosigkeit kurzfristig dämpfen, kommt Snower zu dem Ergebnis, dass der Effekt langfristig andauert. Sollte er Recht haben, könnte die Politik wieder hoffen, die Arbeitslosigkeit auf längere Sicht beeinflussen zu können. MKR

taz Nr. 7386 vom 18.6.2004, Seite 4, 49 Zeilen (Portrait), MKR

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DAS DIW DROHT DIE WIEDERENTDECKUNG KEYNES ZU VERPASSEN

Verengter Blick

Zumindest zweimal im Jahr war Gustav Adolf Horn, der Chefvolkswirt des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), ganz groß im Bild. Aber nicht nur bei der halbjährlichen Präsentation des gemeinsamen Gutachtens der führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute, auch sonst haben ihn seine klaren Worte zum beliebten Gesprächspartner der Medien werden lassen. Zumal Horn mit seinen Positionen nicht für den Mainstream der Experten steht. Während für viele seiner Kollegen eine möglichst niedrige Inflationsrate das höchste Gut ist, fordert Horn die Europäische Zentralbank immer wieder zu Zinssenkungen auf, um so die Wirtschaft zu stimulieren.

Darin ist sich Horn nicht nur mit den Gewerkschaften und vielen Linken einig, sondern auch mit seinem Chef, dem DIW-Präsidenten Klaus Zimmermann. Anderer Auffassung waren beide aber zum Beispiel in der Arbeitsmarktpolitik. Während Zimmermann sich für möglichst niedrige Tarifabschlüsse einsetzt, betont Horn den positiven Effekt höherer Löhne, die den Konsum, die Nachfrage und damit auch die Wirtschaft anregen können. Dies auch öffentlich zu sagen, kann seinem Chef nicht gefallen haben. Dass er seinen Posten nun gegen seinen Willen zum Ende des Jahres verlassen muss, könnte ein weiterer Baustein beim Umbau des traditionsreichen Instituts sein, den Zimmermann seit seinem Amtsantritt verfolgt: weg von der nachfrageorientierten Politik, die auf der Theorie J. M. Keynes gründet, hin zur Ausrichtung auf die Angebotsseite, also die Unternehmen.

Diese neoklassische Linie gibt seit Jahren den Ton an im Chor der deutschen Wirtschaftsforschung und hat unter anderem in der Agenda 2010 oder den Steuererleichterungen für Unternehmen ihren Niederschlag in der Politik gefunden. Der Erfolg ist bislang mäßig, die Arbeitslosigkeit bleibt weiter hoch. Auf der Suche nach Lösungsansätzen hilft es nicht, den Blick weiter zu verengen. International jedenfalls gewinnt der Keynesianismus wieder an Boden. Das DIW täte bei der Suche nach einem Nachfolger Horns gut daran, diesen Trend mitzugestalten. " STEPHAN KOSCH

taz Nr. 7385 vom 17.6.2004, Seite 11, 46 Zeilen (Kommentar), STEPHAN KOSCH

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DIW-Volkswirt Horn muss gehen

BERLIN taz Der Chefvolkswirt des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Gustav Adolf Horn, muss spätestens zum Jahresende gehen. Sein Vertrag soll nicht mehr verlängert werden, entschied das Kuratorium des Instituts in Berlin. Beobachter werteten den Schritt als Entscheidung in einem Machtkampf zwischen Horn und dem DIW-Präsidenten Klaus Zimmermann. Neben persönlichen Spannungen hätten auch inhaltliche Differenzen zu der Demission geführt. Horn gilt als Vertreter einer an der Nachfrage orientierten Wirtschaftspolitik, die den Theorien Keynes folgt. Damit bezog er häufig eine Minderheitsposition unter den deutschen Wirtschaftsforschern. Das DIW ist eines der sechs führenden Wirtschaftsforschungsinstitute, die zweimal im Jahr gemeinsame Gutachten zur konjunkturellen Lage vorlegen. step

meinung und diskussion SEITE 11

taz Nr. 7385 vom 17.6.2004, Seite 9, 30 Zeilen (TAZ-Bericht), step

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Ökonomen prangern Industriepolitik an

Monopolkommission hält Konzept der "Nationalen Champions" für falsch - Clement weist Kritik zurück

Berlin (Die Welt)  -  Die Monopolkommission hält nichts von nationalen Champions. Mit harten Worten hat die Behörde Tendenzen in der Bundesregierung kritisiert, durch Förderung einzelner Unternehmen oder Wirtschaftszweige Einfluss auf die Wirtschaft zu nehmen. Die Vorstellung sei falsch, staatliche Begünstigung "nationaler Champions" stärke die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft insgesamt, sagte Kommissionspräsident Martin Hellwig bei der Vorlage des 15. Hauptgutachtens.

Im Wettbewerb stünden nicht Volkswirtschaften, sondern Unternehmen und Unternehmer. "Was ich tue, um ein Unternehmen zu fördern, belastet andere Unternehmen." Als Beispiele nannte die Kommission die Privilegierung der Post durch das andauernde Briefmonopol, die Ministererlaubnis für die Fusion der Energiekonzerne Eon und Ruhrgas sowie der Ruf nach einer Fusion im Bankensektor zur Schaffung einer "starken" deutschen Bank. Auch die von Deutschland, Frankreich und Großbritannien propagierte Berufung eines "Superkommissars" für alle wirtschaftlichen Fragen kritisiert die Kommission. Wettbewerbspolitik werde gegenüber industriepolitischen Anliegen zurückgestellt.

Das Bundeswirtschaftsministerium widersprach der Kritik der unabhängigen Gutachter aus Wirtschaft und Wissenschaft. Anders als die Monopolkommission sehe die Bundesregierung kein Spannungsverhältnis zwischen Industriepolitik und einer guten Wettbewerbspolitik. "Es kann insoweit auch nicht von einem Kurswechsel der Bundesregierung in den letzten Jahren die Rede sein", teilte das Ministerium von Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) mit.

Die Monopolkommission untermauerte ihre Kritik mit Beispielen aus vermeintlich industriepolitisch erfolgreichen Ländern wie Frankreich und Japan. So habe die französische Industriepolitik für die Schwerindustrie oder die Concorde Milliarden verschwendet, sagte Hellwig. In Japan seien gerade die Branchen erfolgreich, die sich gegen die Wettbewerbs hemmenden Interventionen des Industrieministeriums MITI gewehrt hätten. Hellwig räumte ein, der Standortwettbewerb um Unternehmenssitze habe an Intensität zugenommen. Er verwies auf die Übernahme von Mannesmann durch Vodafone oder die Fusion von Hoechst und Rhône Poulenc zu Aventis. Industriepolitik könne hier wenig ausrichten, besser seien günstige Rahmenbedingungen, wie die Rechtsordnung oder das Steuerwesen, meinte der Wirtschaftsprofessor.

Die Monopolkommission bekräftigte in ihrem alle zwei Jahre veröffentlichten Hauptgutachten weitgehend die jüngste Kritik aus Sondergutachten zur Telekommunikation, dem Wettbewerbsrecht und der Pressefusionskontrolle. Beim wachsenden Markt für eine freiwillige kapitalgedeckte Altersvorsorge forderte die Kommission einheitliche Steuerbedingungen und einfachere staatliche Förderregelungen. Fehlende Transparenz sei mit ein Grund für den Misserfolg der Riester-Rente.

Im Bereich der Stromversorgung kritisierte die Monopolkommission, dass es nach anfänglichen Erfolgen nun wieder einen deutlichen Rückgang der Wettbewerbsintensität gebe. Auf Zuspruch der Kommission stieß dagegen die neue Handwerksordnung.  svb/DW


Artikel erschienen am 10. Juli 2004 - Die Welt

 

09.07.2004 - 15:20 Uhr
BMWA verteidigt Industriepolitik gegen Monopolkommission-Kritik


BERLIN (Dow Jones-VWD)--Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWA) hat die Industriepolitik der Bundesregierung gegen die Kritik der Monopolkommission verteidigt. Die Monopolkommission hat in ihrem am Freitag veröffentlichten Hauptgutachten moniert, dass die Förderung "nationaler Champions" den Wettbewerb belaste. "Anders als die Monopolkommission sieht die Bundesregierung kein Spannungsverhältnis zwischen ihrer Industriepolitik und einer guten Wettbewerbspolitik", erklärt das BMWA in Berlin.

Nach Auffassung der Monopolkommission basiert die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung auf der falschen Vorstellung, durch die staatliche Begünstigung "nationaler Champions" die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft insgesamt zu stärken. Im Wettbewerb ständen aber nicht Volkswirtschaften, sondern Unternehmen. Problematisch sei etwa die "Zementierung des Postmonopol als Basis für einen weltweit operierenden Logistik-Konzern". Es würden Gewinne auf dem heimischen Markt genutzt, um die Expansion in anderen Ländern zu finanzieren. Das schaffe dort "böses Blut", warnte Martin Hellweg von der Monopolkommission.

Das BMWA beharrt dagegen darauf, dass die Wettbewerbsfähigkeit die "Fähigkeit einer Volkswirtschaft messe, in einer globalisierten Welt wertvolle Güter und Dienstleistungen rationell zu produzieren sowie den Lebensstandard anzuheben und eine hohe Beschäftigung zu sichern". Das BMWA beharrt darauf, dass die Politik der Bundesregierung sich hier nahtlos in den Rahmen der europäischen Lissabon-Strategie einfüge. Das BMWA kündigte an, dass die Vorschläge der Monopolkommission zum Thema "wettbewerbskonforme Ausgestaltung der kapitalgedeckten Altersvorsorge" und "Wettbewerb in der Elektrizitätsversorgung" geprüft würden.

Die Änderungen bei der Pressefusionskontrolle lehnt die Monopolkommission weitgehend ab, da sie kein Modell für publizistische Vielfalt sein. Es werde das Sonderprivileg eingeräumt, ein Monopol im Werbemarkt auszubeuten, um etwas anderes zu finanzieren, was für würdig und gut gehalten wird. Dieses Handlungsmuster sei problematisch und dazu angetan, Nachahmer auf den Plan zu rufen. Das BMWA hingegen beharrt darauf, dass die Novelle ein wirksames Instrument sei, "die Existenz vieler Zeitungsverlage zu sichern und zum Erhalt der publizistischen Vielfalt beizutragen".
+++ Gerwin Klinger
Dow Jones Newswires/9.7.2004/kli/apo

 

Rufer in der Wüste

Der Kommentar

von Stefan von Borstel - Die Welt

Neidisch blicken deutsche Wirtschaftspolitiker nach Frankreich. Spätestens seit der Pharmakonzern Sanofi den halbdeutschen Konkurrenten Aventis übernommen hat, gilt der Pariser Wirtschaftsminister Sarkozy als Star - und ist Industriepolitik auch hier zu Lande wieder en vogue. So etwas würde die Bundesregierung auch gern machen: Aus Post und Telekom, aus Großbanken und Energiekonzernen nationale Giganten formen, die dann den Konkurrenten in der weiten Welt das Fürchten lehren, unliebsame Mitbewerber einfach schlucken und in Deutschland viele, viele Arbeitsplätze schaffen.

Das klingt zwar schön, ist aber dennoch "falsch" und "unrealistisch", wie die Monopolkommission in ihrem jüngsten Gutachten feststellt. Wer einzelne Unternehmen oder Branchen fördert, schädigt die anderen. Die Gewinner und Verlierer werden durch Privilegien und Subventionen bestimmt, aber nicht durch den Wettbewerb - auf Kosten der gesamten Volkswirtschaft.

Die Warnungen der Monopolkommission gegen den Zeitgeist kommen zur rechten Zeit - aber sie werden ungehört verhallen. Das liegt nicht an dem sperrigen Ökonomendeutsch, in dem das Gutachten abgefasst ist. Regelmäßig übergeht die Regierung die Empfehlungen der Kommission, bei Fusionen wie bei der Liberalisierung der Energiemärkte oder der Reform des Wettbewerbsrechts. Die Monopolkommission ist ein einsamer Rufer in der Wüste. Auch ihr 15. Hauptgutachten wird ohne Folgen bleiben.

Artikel erschienen am 10. Juli 2004 - Die Welt

Deutschland braucht keine Global Player

Industriepolitik à la Schröder und Clement schade mehr, als sie nütze. Mit diesem Urteil wendet sich die Monopolkommission gegen das Konzept der Regierung, "nationale Champions" für den Weltmarkt zu bilden. Das sei teuer und im Effekt schädlich
AUS BERLIN MATTHIAS URBACH

Sei es die Verlängerung des Briefmonopols der Deutschen Post AG oder die Ministererlaubnis für die Fusion der Energieriesen Eon und Ruhrgas: Die Gründe für all die Versuche der deutschen Industriepolitiker, "nationale Champions" aufzubauen, seien "falsch" oder "unrealistisch", so das Urteil der Monopolkommission, die gestern ihr 15. Hauptgutachten in Berlin an das Wirtschaftsministerium übergab. Denn "was ich tue, um ein Unternehmen zu fördern", erklärte in Berlin der Kommissionsvorsitzende Martin Hellwig, "ist geeignet, ein anderes Unternehmen zu belasten."

Zudem sei "die Vorstellung falsch", die staatliche Förderung nationaler Champions helfe der Volkswirtschaft insgesamt. Vielmehr verstelle die Formel den Blick dafür, dass die Unternehmen ja auch innerhalb Deutschlands in Konkurrenz stünden. Im Übrigen gingen Wachstum und Dynamik anderer Volkswirtschaften nicht zu Lasten der deutschen. Deshalb sei es auch nicht nötig, deutsche "Global Player" zu bilden.

Doch mit einer solchen Begründung setzte Wirtschaftsminister Wolfgang Clement etwa die Fusion des Stromkonzerns Eon mit dem deutschen Gas-Branchenführer Ruhrgas durch - gegen die Bedenken der Kartellwächter. Oder privilegiert weiterhin die Post, damit sie sich als globaler Logistikkonzern aufstellen kann. Auch wurde der Missbrauch der Stromkonzerne mit ihren Leitungsnetzen nicht unterbunden. Die Zeche zahlten die Kunden in Form höherer Preise für Strom und Briefe.

Gefährlich sei auch die Förderung einer nationalen Großbank. Große Banken, die sich für too big to fail halten, neigten dazu, riskantere Geschäfte zu machen - im Vertrauen darauf, der Staat werde sie schon nicht fallen lassen. Dieser Glaube habe schon 1930 das Land in eine Bankenkrise gestürzt, warnt Hellwig.

Wenig ermutigend sei auch das viel zitierte Vorbild Frankreich. Das hatte schon in den Siebzigern intensiv in die Concorde und eine französische Computerindustrie investiert - "viel verschwendetes Geld", urteilt Hellwig. Selbst das mächtige und legendäre japanische Industrieministerium Miti habe mehr Schaden als Nutzen angerichtet. Konkurrenzfähig seien eher die Konzerne, die das Miti auf Abstand hielten.

Entsprechend wendet sich die Monopolkommission gegen die Pläne der Staats- bzw. Regierungschefs Gerhard Schröder, Jacques Chirac und Tony Blair, alle wirtschaftspolitischen Fragen einem EU-Superkommissar anzuvertrauen. "Der Wohlstand des Landes hängt davon ab, dass es die Ressourcen möglichst produktiv einsetzt" - das aber könne der Wettbewerb besser entscheiden als Bürokraten, so die Kommission.

taz Nr. 7405 vom 10.7.2004, Seite 8, 91 Zeilen (TAZ-Bericht), MATTHIAS URBACH

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Gerüffelter Minister

"Vollumfänglich abgelehnt" hat der Bundesrat Wolfgang Clements Pläne zur Liberalisierung des Kartellrechts

Die Expansionspläne der großen deutschen Zeitungshäuser können bis auf weiteres in der Schublade bleiben: Denn der Bundesrat hat in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause die Pläne von Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) zur weitgehenden Liberalisierung des besonderen Kartellrechts für die Presse komplett in die Tonne getreten. "Der Entwurf führt zu einer faktischen Aufhebung der Pressefusionskontrolle", heißt es im Beschluss: "Die Änderungen des Pressekartellrechts sind vollumfänglich abzulehnen." Die in der Novelle vorgeschlagenen Maßnahmen seien "ordnungspolitisch bedenklich, gesetzestechnisch systemwidrig" - und würden den in der Zeitungskrise darbenden kleinen und mittleren Verlagen nicht mal was nützen: Weder "zielführend zur Behebung der konjunkturellen und strukturellen Probleme der Pressebranche noch geeignet zur Wahrung der Meinungsvielfalt" sei das Ganze.

Damit wird ein Durchkommen für das Gesetz, das im September vom Bundestag verabschiedet werden soll, immer unwahrscheinlicher. Zum einen ist die Länderkammer zustimmungspflichtig, zum anderen ist die Novelle auch in der Regierungskoalition alles andere als unumstritten. Weite Teile der Grünen-Fraktion lehnen sie ab.

"Die bestehenden, durch die überwiegend lokalen und regionalen Strukturen im Pressebereich begründeten Sonderregeln für Fusionen […] sollten unangetastet bleiben", so der Bundesrat - eine klare Absage an die Einkaufspläne von Springer, Holtzbrinck und WAZ-Gruppe, die der Regierungsentwurf begünstigt hätte. Er sieht vor, bei Fusionen künftig auch marktbeherrschende Stellungen bis hin zum Monopol hinzunehmen.

Voraussetzung wäre nur, dass mindestens 25 Prozent der Anteile der übernommenen Zeitung im Besitz des Verkäufers oder eines Dritten blieben und die redaktionelle Unabhängigkeit der Titel auf dem Papier garantiert würde. Eine Variante, die vor allem den großen Vorlagen nützen würde und bei der sich nach Meinung von Kartellamts-Präsident Ulf Böge "Strohmanngeschäfte" geradezu aufdrängten. Der Clement-Entwurf würde außerdem einer weiteren Konzentration im Zeitungsmarkt Vorschub leisten (siehe Kasten "Ein Zeitungskreis").

Auch die unabhängige Monopolkommission rüffelte zum wiederholten Mal den Minister: Sie spricht sich in ihrem am Freitag veröffentlichten 15. Hauptgutachten "weiterhin entschieden gegen" den Entwurf aus. Sollte er umgesetzt werden, drohe "eine Ausdünnung der publizistischen Vielfalt sowie ein deutlicher Rückgang von Beschäftigungsmöglichkeiten für Journalisten". "STG

taz Nr. 7406 vom 12.7.2004, Seite 18, 89 Zeilen (TAZ-Bericht), STG

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